Seit Januar 2017 gilt die neue Euro 4.
Den Bericht habe ich im gefunden und fand ihn interessant!
Die Norm bringt neben schärferen Abgaslimits auch andere Geräuschgrenzwerte. Speziell im Hinblick auf Klappensysteme im Auspuff sind da viele Befürchtungen laut geworden. Völlig unbegründet, wie der nachfolgende Beitrag zeigt.
Dezent brabbelt die schwarze Harley im Leerlauf vor sich hin. Es rappelt und rasselt – die Laufgeräusche des Motors. Sie sind eher zu hören als der Auspuff: unauffällig, leise und vornehm zurückhaltend. Ein bisschen ist das so, als spreche am Tisch jemand mit seinem Nachbarn, vor dem Mund die Hand, damit nicht alle mitbekommen, was da geredet wird. Dann geht Herr Thomas hin und drückt auf einen Taster am Lenker. Am Knopf leuchtet es, das Rappeln und Rasseln geht unter, und der Auspuff klingt, als sei die Maschine, an die er geschraubt ist, nun doppelt so groß. Er blubbert nicht mehr nur. Der Mann am Tisch schiebt beim Aufstehen seinen Stuhl zurück, nimmt die vom Mund, holt tief Luft und macht eine klare Ansage. Er spricht nicht unangenehm laut, aber deutlich. Er macht die Klappe auf.
„Euro 4 strenger? Das kann man so nicht sagen.“
So wie Bastian Thomas mit dem Druck auf den kleinen Taster. Bastian Thomas ist Leiter der Entwicklung bei den Auspuff-experten von KessTech. Was er sagt und vor allem auch, wie er es sagt, ist das genaue Gegenteil zu all den Scheißhausparolen, die ja lange und laut genug die Runde gemacht hatten und immer noch machen: Mit Euro 4 werde alles ganz schlimm. Grenzwertige Grenzwerte, komplizierte Messungen, keiner wird mehr durchblicken, allen aber muss klar sein, dass alles ganz schlimm, nein, noch schlimmer komme. Der Sound of Silence werde alles sein, was noch werden von sich geben dürfen. Was vorher ein schöner Ton war, werde dann klingen müssen wie ein verklemmter Furz. Auspuffklappen werden verboten sein, prinzipiell, alle. Und es werde auch keine Rolle spielen, ob irgendein Nachrüsttopf nach den bisherigen Bestimmungen okay war – mit Euro 4 werde ein Zwang zur Rückrüstung kommen und der Spaß am Schall, er werde gehen. Euro 4? Ein Schreckgespenst.
„Euro 4“, sagt Bastian Thomas, „überhaupt kein Thema. Messverfahren haben sich gegenüber Euro 3 geändert, es ist aufwendiger, neue Anlagen zu homologieren. Aber wir haben es für viele Modelle schon geschafft, für andere sind wir gerade dabei. Alles gut, kein Problem. Es hört sich gut an, und es ist schön zu fahren. Und immer legal.“ Dann lächelt Herr Thomas ein freundlich zufriedenes Lächeln. Er hat allen Grund dazu. „Reden wir vom Geräusch, es ist eigentlich sogar besser als bisher“, sagt er. Den Einwand, Euro 4 sei doch aber strenger als Euro 3, kommentiert er zuerst mit einem Kopfschütteln, dann mit einer Erklärung. „Strenger? Das kann man so nicht sagen. Der Grenzwert fürs Fahrgeräusch ist zwar von 80 Dezibel auf 77 respektive 78 runter. Aber es gibt ja auch ein ganz anderes Messverfahren. Deshalb sind die Werte nicht direkt vergleichbar.“
Standgeräusch heißt nicht Standgas
Bisher war die Sache mit dem Auspuffgeräusch im Rahmen von Euro 3 so geregelt: Mit der Richtlinie 97/24/EG hatte das Europäische Parlament 1997 den maximal zulässigen Geräuschpegel für Motorräder und die Messmethoden zu dessen Ermittlung festgeschrieben. Für das Standgeräusch gibt es keinen absoluten Grenzwert. Was im Rahmen der Homologation gemessen wurde, gilt als bindend für alle Exemplare dieses Typs und für Zubehöranlagen für diesen Typ. Und: Standgeräusch heißt nicht Standgas. Es heißt halbe Nenndrehzahl.
Für das Fahrgeräusch bestimmt 97/24/EG einen Maximalwert von 79 db(A), bei einer Toleranz von einem Dezibel. Das Prozedere: Im zweiten und dritten Gang fährt die Maschine mit 50 km/h in eine 20 Meter lange Messstrecke. Von Anfang bis Ende der Strecke wird das Gas voll aufgezogen. 7,5 Meter entfernt vom vorbeifahrenden stehen in der Mitte der Messstrecke die Mikrofone, eines links, eines rechts. Gefahren wird pro Gang zwei Mal, üblicherweise von beiden Seiten aus. Nach vier Fahrten wird ein Messwert gemittelt. Was außerhalb dieses Rahmens passiert, regelt die Norm nicht, sprich, das Motorrad darf dann lauter als 80 db(A) sein. Laut und legal stehen also nicht im prinzipiellen Widerspruch zueinander. Dass beides nach dem Buchstaben des Gesetzes in Ordnung ist, ist die theoretische Grundlage von Auspuffanlagen mit Klappensystemen. Denn ein elektronisches Soundmanagement lässt sich perfekt den Vorgaben der Richtlinie anpassen und sorgt dafür, dass eine Anlage im messtechnisch relevanten Bereich alle gesetzlichen Bestimmungen erfüllt. Erkennt die Elektronik, dass die Maschine sich in diesem Bereich bewegt, schließt eine Klappe im Auspuff und regelt so den Schalldruck herunter.
Warum das noch so hier steht, wo doch 97/24/EG abgelöst wurde von der Verordnung 168/13 und der Richtlinie UNECE R41.04, die nun im Rahmen von Euro 4 Geräuschgrenzwerte und Messverfahren definieren? Weil erstens die alten Bestimmungen nach wie vor gelten, und zwar für Motorräder, die vor dem 1.1.2017 zugelassen sowie vor dem 1.1.2016 homologiert wurden. Und selbst, wenn jemand demnächst erst Nachrüstdämpfer mit Klappen an eine solche Maschine schraubt, sind dafür die alten Bestimmungen maßgeblich.
Euro 4-Geräuschgrenzwert bei 78 db(A)
Zweitens hat sich am Prinzip nichts geändert. Es gibt auch im Rahmen von Euro 4 keinen absoluten Geräuschgrenzwert, sondern einen genau definierten Bereich, in dem ein maximaler Schalldruck nicht überschritten werden darf. „Allerdings ist das Verfahren zur Messung jetzt aufwendiger“, sagt Bastian Thomas, der KessTech-Entwickler. Brauchte eine Fahrgeräuschmessung mit einer bekannten Maschine nach Euro 3 etwa 20 Minuten, kann sie jetzt auch drei bis vier Stunden dauern. Denn nach der neuen Regelung fällt der messtechnisch relevante Bereich mitunter für jeden Motorradtyp anders aus.
Wieso? Stark vereinfacht sagt die Verordnung 168/13: Für Maschinen mit Erstzulassung nach dem 1.1.2017 oder einer Typzulassung nach dem 1.1.2016 gilt ein Geräuschgrenzwert von 78 db(A). Die Richtlinie UNECE R41.04 ist die dazugehörige Gebrauchsanleitung. Sie beschreibt die Vorgehensweise für die Geräuschmessungen und definiert so einen genauen Bereich, in dem die 78 Dezibel einzuhalten sind. Und zwar folgendermaßen: Am Messaufbau ändert sich prinzipiell nichts. Doch statt wie bisher mit 50 km/h in die Messstrecke einzufahren, muss dieses Tempo (+/- ein km/h) nun auf Höhe der Mikrofone anliegen. Das umschreibt das schöne Wort „Zielbeschleunigung“.
Anhand einer komplizierten Formel ergibt sich unter Berücksichtigung von Gewicht, Leistung und einem auf 75 Kilogramm normierten Fahrergewicht für jedes Motorrad eine eigene Einfahrgeschwindigkeit. Bei einer R 1200 R liegt sie zum Beispiel bei 38,1, bei einer GS bei 38,6 und bei einer Harley-Davidson Street Glide bei 34 km/h. Relevant außerdem: der für die Messung einzulegende Gang. Gemessen wird in dem Gang, in dem die Zielbeschleunigung erreicht wird. Liegt sie in einem Gang darüber und im anderen darunter, ist sowohl im einen wie im anderen Gang zu messen. Die Ergebnisse sind dann unter Berücksichtigung eines sogenannten Ganggewichtsfaktors auszuwerten. Dazu kommt neben der Bestimmung des Standgeräuschs auch eine Konstantfahrt-Messung bei Tempo 50.
„Wenn du dich durch die Gesetzestexte kaust, raucht dir der Kopf, bis du begreifst, was man dir da sagen will“, erzählt Matze Rüdling vom Auspuffhersteller Jekill and Hyde. „Es braucht eine Weile, sich auf die Neuerungen einzustellen, aber beim Thema Euro 4 macht sich bei uns keiner in die Hose. Es ist sogar so, dass man im normalen Fahrbetrieb auf der Straße jetzt eher seltener in die Bereiche kommt, in denen die Klappe zumacht.“
Wenn Auspuffklappen und Hohlbirnen zusammenkommen …
Bastian Thomas von KessTech ist derselben Meinung. „Die Elektronik regelt die Klappen jetzt anders. Aber das ist Geschmackssache. Den meisten Leuten – Fahrern wie Anwohnern – wird es jetzt eher besser gefallen.“ Tatsächlich gibt es einige Modelle, so erzählt er, die nach ECE 41.04 getestet legal sind, während sie es nach der alten Richtlinie nicht wären. Für manche Maschinen stellt die Verschärfung der Obergrenze kein Problem dar. Weil anders gemessen wird als bisher, schneiden sie sogar besser ab. Eine 300er-Ninja zum Beispiel misst das alte Verfahren mit einem Fahrgeräusch von 78 Dezibel. Nach den aktuellen Methoden kommt sie auf nur 72.
Hat sich der Gesetzgeber, was die Lautstärke angeht, mit Euro 4 also ein faules Ei ins Nest gelegt? Nein, weder sich selbst, noch den Auspuffherstellern oder denen, die sich völlig zu Recht über zu laute Motorräder aufregen, weil sie nun mal unter der Lärmbelastung zu leiden haben. „Es ist nervtötend, weil die Maschinen zum Teil wie die Hölle schreien. Da machst du an einem Sonntag in einem Schwarzwald-Café Pause und denkst, du bist beim Rennlauf auf der Isle of Man“, sagt einer, der selbst gerne fährt, aber andere damit nicht um den Verstand bringen will. „Es ist halt ein Elend, wenn Auspuffklappen und Hohlbirnen zusammenkommen.“ Das sieht Mario Müller, CTO von Jekill and Hyde, nicht anders. Er sagt: „Schiere Lautstärke ist doch das Letzte, was wir haben wollen. Was wir mit unseren Anlagen erzielen wollen, ist ein tiefer, dumpfer, satter Klang. Und ein Geräusch, das in jedem Fahrzustand legal ist. Diese lauten Geräusche und hohen Frequenzen tun weh im Ohr. Das ist nicht gesund, und es macht auch keinen Spaß.“ Spaß macht ihm, was er einen „sozialverträglichen Sound“ nennt. Der ist auch KessTech wichtig. Bastian Thomas formuliert das nur anders. Anders als mit den Klappenanlagen der Erstausrüster könne der Kunde mit einer steuerbaren Anlage immerhin bestimmen, wann er wie leise unterwegs sein wolle. Und mit der „Verantwortung in der Hand der Nutzer“ verbindet sich ganz ausdrücklich ein „Appell an deren Sozialkompetenz“.
Mit geschlossener Klappe sogar leiser als Original
Die allerdings lässt sich mit Richtlinien nur sehr mittelbar beeinflussen. „Die neue Verordnung“, sagt Bastian Thomas, „ist kein Rückschritt, aber auch kein Fortschritt. Sie wirkt sich sehr fahrzeugbezogen aus. Tendenziell kommt sie in Sachen Geräusch eher den niedertourigen Maschinen mit großen Einzelhubräumen zugute, weniger den kleinen Kurzhubern, die von der Drehzahl leben.“ Es gehört zu den besonderen Schwierigkeiten der Entwicklung, dass das hinsichtlich der Abgaswerte genau umgekehrt ist. Ohnehin ist das Abgasverhalten vom Soundmanagement nicht wirklich zu trennen. Und deshalb reicht es oft nicht, nur die Elektronik an die neuen Vorgaben anzupassen, wenn auch das schon kompliziert und teuer genug wäre. Bei KessTech etwa haben sie eine ganze Reihe von Dämpfern auch konstruktiv verändert, weil in den Originalanlagen der Kat vom Krümmer in den Endtopf verlegt werden oder dort größer dimensioniert werden musste, damit die neuen Abgasnormen erfüllt werden. „Bei vielen Harley-Modellen sitzt der Kat nicht mehr im Sammler und die Klappen sind weggefallen. Da mussten wir“, sagt Bastian Thomas, „einen weiteren Entwicklungsschritt gehen.“ Und das kostet.
Wie viel? Allein für den Preis des Mess-Equipments spricht Mario Müller von Jekill and Hyde von einer Summe um die 50.000 Euro: GPS-Geräte, Schnittstelle zum Canbus der Maschine, Computer, Rechenprogramme. Dazu kommen fünfstellige Gebühren, um für die Abnahme offizielle Strecken und Geräte zu mieten, dazu Investitionen für die geforderten Gutachten, die Müller zwischen 8.000 und 15.000 Euro veranschlagt. Lege man die Kosten um auf die Entwicklung und die Gutachten für ein einziges Modell, komme man auf ungefähr 40.000 Euro, sagt Müllers Kollege Matze Rüdling.
Sound und Sozialverträglichkeit sind es wert. Wobei in Sachen Sozialverträglichkeit eine Entwicklung ja weder in den Händen der Behörden noch der Hersteller liegt, sondern in denen der Fahrerinnen und Fahrer. „Wenn du startest, ist die Klappe erst mal zu“, sagt Bastian Thomas von KessTech. „Sie öffnet sich erst, wenn der Fahrer das System per Knopfdruck aktiviert. Die Elektronik regelt die Klappe, aber ich entscheide, wann ich wo in welcher Weise fahre, ganz einfach.“ Nicht wenigen Kunden, vornehmlich mit BMW, aber zunehmend auch mit Harley, erzählt Thomas, sei es wichtig, dass die Anlage mit geschlossener Klappe sogar leiser sei als das Original. „Etwa um längere Reiseetappen zu fahren oder morgens und abends aus der und in die Garage.“ Dann macht er die Harley aus. Stille. „Auch schön“, sagt er. Stimmt.
Kurz und knapp
Auspuffanlagen mit manuell betätigtem Klappensystem sind nach Euro 3 legal nur in geschlossenem Zustand auf öffentlicher Straße zu bewegen. Der Schalter zur Betätigung der Klappen darf nicht am Lenker sitzen. Nach Euro 4 sind solche Systeme ganz verboten.
Auspuffanlagen mit elektronischem Soundmanagement sind auch unter Euro 4 weiterhin legal. Für Maschinen, die unter Euro 3 typ- und erstzugelassen sind, gilt hinsichtlich der Nachrüstanlagen weiterhin dieser Standard. Außerdem gibt es Bestandsschutz, Euro 4 ist nicht rückwirkend. Bei Modellen mit einer Erstzulassung (ab 1.1.2017) respektive Homologation unter Euro 4 (ab 1.1.2016) hat auch der Nachrüstauspuff die Standards dieser Norm zu erfüllen.
Hintergrund: Was heißt laut?
Schall ist messbar, Schalldruck eine sehr komplex beeinflusste, aber bestimmbare Größe. Jeder Mensch aber nimmt Geräusche und Lautstärken anders wahr. Lärmempfinden ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Krach, sagt einer, Sound ein anderer. Zu viel und zu intensiver Lärm wirkt sich allerdings stets belastend auf den Organismus aus. Lärmbelastung kann zu gesundheitlichen Schäden führen. Irreparable Schäden am Ohr treten bei einem Schallpegel ab 150 Dezibel auf, schmerzhaft wird es schon bei 130 Dezibel, was in etwa den Geräuschen entspricht, die laut werden, wenn man einem beschleunigenden Rennwagen nahe kommt. Leiser Musik wird ein Schalldruck von 40 Dezibel zugeschrieben. Die normale Gesprächslautstärke liegt bei 55, das Klingeln eines Telefons um 80 Dezibel. Eine Autohupe kommt auf etwa dieselbe Lautstärke wie ein Symphoniekonzert: 110 Dezibel, während ein weniger als 100 Meter entfernter Kampfjet einen Schalldruck von 150 Dezibel produzieren kann.
Heißt das, ein Motorrad, dessen Fahrgeräusch den Grenzwert von 77 Dezibel einhält, ist nicht mal doppelt so laut wie ein Gespräch und mehr als halb so laut wie ein Düsenjäger? Nein, denn eine Zunahme von zehn Dezibel entspricht sehr vereinfacht ausgedrückt einer Verdopplung der Lautstärke. Wonach das Symphoniekonzert also eine dreimal so intensive Geräuschbelastung darstellt wie ein vorbeifahrendes Motorrad. Wobei ja allein der Schalldruck fürs individuelle Empfinden der Geräusche nicht entscheidend ist.
Kommentar
Gute Frage: Ist leis’ scheiß oder laut out? Beides. Anderer Meinung? Klappe halten. Wenn Motorräder klingen wie verstopfte Staubsauger, ist das Mist. Und wenn sie so klingen, dass Anwohnern die Tassen aus dem Schrank fallen, ist das ebenfalls Mist. Der Unterschied ist nur: Das eine ist eine Folge davon, wie die Maschine gebaut ist, das andere in der Hauptsache davon, wie sie bewegt wird. Schön wäre, wenn sich sagen ließe: Das eine hat aber doch mit dem anderen nichts zu tun. Nur stimmt das leider nicht. Wenn Motorräder immer restriktiveren Bestimmungen genügen müssen, dann folgt das einer allgemeinen Entwicklung zu schärferen Emissions-Grenzwerten.
Aber nicht nur. Es ist auch eine Reaktion auf das Verhalten Einzelner, Weniger oder auch einiger Weniger, die sich so aufführen, dass das die behördliche Sankionslust sicher nicht bremst. Anders gesagt: Leute, die so Motorrad fahren, dass sie anders als asoziale Schwachsinnige kaum zu bezeichnen sind, tragen sicher nicht zur Entspannung eines Konflikts bei, den es in dieser Art ja überall gibt. Hier diejenigen, die etwas tun, was ihnen Spaß macht, dort diejenigen, die nicht ganz zu Unrecht behaupten, sie täten das auch auf Kosten der Allgemeinheit. Es ist schön, wenn samstags beim Grillen der Geruch von Würstchen, Musik und das Geschnatter der Kinder durch den Garten wehen. Es ist auch schön, aus dieser langen Linkskurve unten im Tal fast mit Vollgas heraus zu beschleunigen, kurz hoch in den Dritten, schon wieder auf der Bremse, Zweiter, nächste Kehre. Und alles lauter als das Geschnatter der Kinder im Garten. Das bringt den Griller auf die Palme. Und der? Bringt den Nachbarn mit dem Rösten tierischer Kadaverstücke in Wurstform oder Marinade um den Verstand, vom Geschrei der lieben Kleinen gar nicht zu reden. Jeder geht irgendwie irgendwem auf die Nüsse, und jedem geht irgendwie irgendwer auf die Nüsse. Die Erde ist zu klein für so viele Menschen mit Laubbläsern, Kettensägen, Presslufthämmern, Klavieren, Geigen, Stimmen, Autos, Motorrädern. Ein Vorschlag: willkürlich zwei Drittel der Menschheit auswählen und umbringen. Aber nicht erschießen! Das wäre zu laut.
Ein anderer Vorschlag, ethisch-moralisch leichter zu begründen, aber rein verfahrenstechnisch schwieriger umzusetzen: Wir alle erinnern uns an einen prominenten Vertreter der Aufklärung, Immanuel Kant, und seine dem Wortlaut nach simple Maxime, wonach die Freiheit des einen dort ende, wo die des anderen beginne. Das klingt schlau. Wäre prima, ein toller Plan. Wenn nicht die einen kleinkariert und die anderen ignorant wären. So funktioniert das Aufgeklärte nach Kant nicht. Es bliebe als Lösung nur die Vernichtung eines Großteils der Menschheit.
Oder Euro 5, 6, 7, Schallschutzscheiben, Motorräder, die klingen wie verstopfte Staubsauger, Arbeitskreise, die so unablässig und laut nach Verkehrsberuhigung schreien, dass es allen nur in den Ohren klingelt und man sich wünscht, man wäre taub, nur dass man das Geschrei nicht mehr hören muss. Was für ein Unsinn, was für ein Mist. Aber es ist wohl zu viel verlangt, dass die einen begreifen, dass sie nun mal nicht allein auf der Welt sind und die anderen ebenfalls. Laut: ist out. Und leis’: ist scheiß.
2017-08-04 / JR